Pressemitteilung

von ANMIC

17. Januar 2019

Zivilinvalidität in Südtirol: Rückblick 2018 und Ausblick 2019

Für die mehr als 45.000 Zivilinvaliden in Südtirol hat das Jahr 2018 viele Veränderungen mit sich gebracht. Dazu gehören zum Beispiel die Anhebung der Einkommensgrenze sowie neue Richtlinien und Änderungen im Bereich des Arbeitsrechts und der Barrierefreiheit. Was sich für Zivilinvaliden geändert hat und worauf sie sich im neuen Jahr einstellen müssen, hat die Vereinigung der Zivilinvaliden (ANMIC Südtirol) zusammengefasst.

Zivilinvaliden sind Menschen mit einer angeborenen oder erworbenen Beeinträchtigung der körperlichen, psychischen oder geistigen Leistungsfähigkeit, bzw. einer Sinnes-, Sprach- oder Lernbehinderung, die mindestens 34% beträgt. Die Zahl der Zivilinvaliden steigt seit Jahren, was sich vor allem durch das Bevölkerungswachstum und durch altersbedingte Krankheiten bzw. Behinderungen erklären lässt. Es gehören aber auch Kinder, Jugendliche und viele Personen im erwerbsfähigen Alter zu dieser Kategorie. Aktuell leben in Südtirol 45.573 Zivilinvaliden.

2018 ist die Rente für Menschen mit einer Zivilinvalidität von 74-100% von vormals 435 auf etwas über 438 Euro pro Monat gestiegen. Ab 2019 beträgt die Zivilinvalidenrente 441,20 Euro. „Trotz dieser Erhöhung bleibt die finanzielle Lage für die meisten Betroffenen kritisch. In vielen Fällen sind die Lebenshaltungskosten wie Miete, Strom, Wasser, Lebensmittel, Medikamente und Therapien mit diesem kleinen Beitrag nur schwer finanzierbar. Zusätzlich zur Rente muss es deshalb eine stärkere finanzielle Entlastung der Zivilinvaliden geben, zum Beispiel durch vergünstigte Mehrwehrtsteuersätze für Produkte und Dienstleistungen“, so Thomas Aichner, Präsident der Vereinigung der Zivilinvaliden (ANMIC Südtirol). Neu ist außerdem, dass die Rente, die früher bis zum Alter von 66 Jahren und 7 Monaten ausgezahlt wurde, ab 2019 bis zum Alter von 67 Jahren gezahlt wird. Anschließend wird diese Rente mit dem Sozialgeld vom Nationalinstitut für Soziale Fürsorge (NISF, ital. INPS) ersetzt.

Mit dem neuen Jahr steigt auch die jährliche Brutto-Einkommensgrenze für Zivilinvaliden mit Rentenanspruch. Diese liegt 2019 für Vollzivilinvaliden (100%) bei 16.814,34 Euro und für Teilzivilinvaliden (74-99%) bei 4.906,72 Euro brutto pro Jahr. Im vergangenen Jahr hat die Agentur für soziale und wirtschaftliche Entwicklung (ASWE) ein Kontrollschreiben dieser Einkommensgrenze an alle Zivilinvaliden verschickt, welche eine finanzielle Zulage lt. Landesgesetz 46/1978 erhalten. Diese bürgerfreundliche Initiative sieht eine Eigenkontrolle vor, welche darauf abzielt, dass Inhaber einer finanziellen Leistung selbständig überprüfen, ob laut Bruttoeinkommen noch das Anrecht auf die Rentenzahlung besteht. Damit sollen Rückerstattungen in oft beträchtlicher Höhe verhindert werden. 2018 wurden bei Stichprobenkontrollen 13 irreguläre Fälle ermittelt, die insgesamt über 170.000 Euro zu Unrecht erhaltene Leistungen zurückzahlen mussten.

Für Personen, die den Ehe- bzw. Lebenspartner, einen Familienangehörigen oder Verschwägerten pflegen und betreuen, gab es 2018 eine positive Nachricht. Im italienischen Haushaltsgesetz hat der Gesetzgeber erneut die Einrichtung eines Fonds zur Unterstützung der Betreuung bzw. Pflege innerhalb der Familie (sog. Caregiver) vorgesehen. Der Fonds wird vom Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik verwaltet und wurde für 2018, 2019 und 2020 mit jeweils 20 Millionen Euro ausgestattet. Gute Nachrichten in Form eines Urteils des Kassationsgerichtshofes in Rom gab es auch für berufstätige Personen, die einen Familienangehörigen pflegen. „Angenommen die Tochter einer Zivilinvalidin mit Anerkennung einer schweren Behinderung laut Gesetz 104/92 arbeitet für eine Bank in Bruneck und soll in eine Filiale nach Bozen versetzt werden. Die Tochter kann die Versetzung ablehnen und hat grundsätzlich sogar Anrecht darauf, in der Filiale zu arbeiten, die am nächsten zum Wohnort der Mutter liegt“, erklärt Thomas Aichner.

Ein weiterer wichtiger Schritt in die richtige Richtung fand 2018 auf europäischer Ebene statt, indem der Europäische Rechtsakt zur Barrierefreiheit (ERB) genehmigt wurde. Der Text stellt die Grundlage für die Verbesserung der Lebensbedingungen der rund 80 Millionen Menschen mit Behinderungen dar, die zurzeit in der EU leben. Grundsätzlich geht es darum, dass die wesentlichen Produkte und Dienstleistungen wie Telefone, Fahrkartenautomaten und Bankdienste ab sofort für Menschen mit Behinderungen leichter zugänglich sein müssen.

Dass die Rechte der Zivilinvaliden keineswegs als selbstverständlich angesehen werden sollten, zeigt ein Fall vom Oktober 2018. Das Nationalinstitut für Soziale Fürsorge (NISF, ital. INPS) hat in einem internen Rundschreiben finanzielle Anreize für Ärzte ins Spiel gebracht, die möglichst vielen Zivilinvaliden die Leistungen kürzen und dem Institut so dabei helfen, Geld zu sparen. Durch eine Anzeige und massiven öffentlichen Druck auf das NIFS konnte diese Praxis jedoch abgewendet werden.

Die letzte, wichtige Neuerung betrifft Arbeitnehmer in Südtirol. In Italien sind private und öffentliche Arbeitgeber mit mehr als 14 Beschäftigten dazu verpflichtet, einen gewissen Anteil an Arbeitnehmern mit Behinderung anzustellen, auch wenn keine Neuanstellung geplant ist. „Besonders positiv ist, dass die Landesregierung im vergangenen Jahr die Laufzeit für Beiträge an Unternehmen, die freiwillig Zivilinvaliden einstellen, in einigen Fällen von 8 auf 25 Jahre verlängert hat“, so Thomas Aichner. „Obwohl es sicher Vorzeigeunternehmen gibt, die auch freiwillig Menschen mit Behinderung beschäftigen, herrschen in der Berufswelt allerdings noch immer starke Vorurteile gegenüber Zivilinvaliden als Arbeitnehmer. Als Vereinigung der Zivilinvaliden werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass die Südtiroler Unternehmen die Vorteile einer Beschäftigung von Zivilinvaliden erkennen und alle Zivilinvaliden vollständig in den sozialen sowie beruflichen Alltag integriert werden.“

 

Bild: CC0 1.0 Universal, www.unsplash.com

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