Umfrage zum Thema Invalidität

von Thomas Aichner

18. September 2014

Die Ergebnisse der Umfrage der ANMIC Südtirol

In Südtirol leben mehr als 40.000 Zivilinvaliden. Das sind Menschen mit einer angeborenen oder erworbenen Beeinträchtigung von mehr als einem Drittel der körperlichen, psychischen oder geistigen Leistungsfähigkeit, bzw. einer Sinnes-, Sprach- oder Lernbehinderung. Wir, die Vereinigung der Zivilinvaliden (ANMIC Südtirol), haben von April bis Juni 2014 eine Zufriedenheitsumfrage zum Thema Invalidität unter unseren Mitgliedern durchgeführt.

Die Umfrage wurde von den beiden Forschern Paolo Coletti von der Freien Universität Bozen und Thomas Aichner von der Universität Padua ehrenamtlich geplant, durchgeführt und ausgewertet.

Hier fassen wir die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage für Sie zusammen.

 

1) Die Umfrage
Das Ziel der Umfrage war es, unseren Mitgliedern die Gelegenheit zu geben auf Probleme hinzuweisen und ihre Erfahrung mit Hausarzt, Facharzt, der Ärztekommission für Zivilinvaliden, den Sozialsprengeln und der ANMIC Südtirol zu teilen. Außerdem konnten die Befragten angeben, ob sie Schwierigkeiten beim Kauf von Produkten für Invaliden oder bei der Suche nach Dienstleistungen für Invaliden haben.

Der Fragebogen wurde auf Deutsch und Italienisch der Vereinszeitschrift „iB. incontrarsi-Begegnung“ beigelegt und musste per Post, Fax oder E-Mail an die ANMIC Südtirol zurückgesendet werden.

 

2) Die Umfrageteilnehmer
Insgesamt sind 5.332 Mitglieder bei der ANMIC Südtirol eingeschrieben, wovon 4.616 die Vereinszeitschrift mit Fragebogen erhalten haben. An der Umfrage haben 215 Personen teilgenommen, was einer Rücklaufquote von 4,7% entspricht und damit im Rahmen der Erwartungen liegt. 96,9% der Umfrageteilnehmer sind italienische Staatsbürger, 3,1% haben eine andere Nationalität. Das allgemeine Durchschnittsalter der 215 Teilnehmer liegt bei 58,7 Jahren, bei Frauen 59,5 Jahre, bei Männern 57,9 Jahre.

Bei 50,5% liegt die Zuständigkeit bei der Sanitätseinheit Bozen, bei 20,6% bei der Sanitätseinheit Meran, bei 16,4% bei der Sanitätseinheit Brixen und bei 12,6% bei der Sanitätseinheit Bruneck.

Die Mitglieder der ANMIC Südtirol sind zu 49,6% weiblich und zu 50,4% männlich. 53% der Teilnehmer an der Umfrage sind Frauen und 47% Männer. Es haben also sowohl in absoluten Zahlen als auch verhältnismäßig mehr Frauen als Männer teilgenommen.

62% der eingeschriebenen Mitglieder sind deutscher Muttersprache, 38% italienischer Muttersprache. Bei den Umfrageteilnehmern ist die Situation mit 54% deutschsprachigen und 46% italienischsprachigen Teilnehmern ausgeglichener, was bedeutet, dass sich im Verhältnis zu allen eingeschriebenen Mitgliedern mehr deutschsprachige Personen an der Umfrage beteiligt haben.

 

Invalidität der Umfrageteilnehmer
 Niedrigster Grad  34%
 Höchster Grad  100%
 Durchschnitt  75,3%
 Häufigster Grad  100% (49 Personen)
 Zweithäufigster Grad  80% (37 Personen)
 Dritthäufigster Grad  75% und 50% (jeweils 26 Personen)
 Körperliche Invalidität  155 Personen
 Psychisch/seelische Invalidität  40 Personen
 Sinnesbehinderung  36 Personen
 Geistige Invalidität  8 Personen
 Lernbehinderung  7 Personen
 Sprachbehinderung  4 Personen

2 von 3 Umfrageteilnehmern haben einen Invaliditätsgrad von mindestens 67%, wobei die häufigsten Grade bei genau 100%, 80%, 75% und 50% liegen. Körperliche Invalidität ist mit 155 Fällen am häufigsten verbreitet. Die Summe der verschiedenen Arten von Invalidität liegt deshalb über 215, weil einige Personen unter mehr als einer Beeinträchtigung leiden.

 

3) Ärztekommission für Zivilinvaliden
Die Ärztekommission für Zivilinvaliden ist dafür zuständig, bei den Antragstellern den Grad und den Grund der Invalidität festzustellen. Dabei wird jene staatliche Tabelle angewandt, in welcher die Invaliditätsprozentsätze gemäß Art. 2 des Gesetzes vom 11. Februar 1980, Nr. 18, in geltender Fassung, angegeben sind. Zudem bewertet die Ärztekommission bei Zivilblinden das restliche Sehvermögen auf einem oder beiden Augen bzw. die vollständige Blindheit und bei Gehörlosen die Taubstummheit.

Die wichtige Grenze von 74% bedeutet, dass der/die Betroffene Anrecht auf eine monatliche finanzielle Leistung hat, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt werden: (a) italienischer Staatsbürger oder eines Staates der EU (wenn der Antragssteller nicht EU-Bürger ist, wird eine gültige Aufenthaltsgenehmigung vorausgesetzt), (b) Wohnsitz in Südtirol und (c) die jährliche Brutto-Gesamteinkommensgrenze darf nicht überschritten werden.

Sowohl die Freundlichkeit bzw. das Verständnis als auch die subjektiv wahrgenommene Objektivität der Ärztekommission wird von Personen, die einen Invaliditätsgrad von bis zu 73% erhalten haben, schlechter bewertet als von Personen mit einer Invalidität von mindestens 74%.

Insgesamt sind die Mitglieder der ANMIC Südtirol mit der Freundlichkeit bzw. dem Verständnis überwiegend zufrieden (62%), nur 19,3% sind nicht zufrieden. Mit der Objektivität der Ärztekommission für Zivilinvaliden sind insgesamt 56,1% zufrieden und 21,6% nicht zufrieden.

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Knapp zwei Drittel aller Umfrageteilnehmer finden, dass ihrer Meinung nach ihr Grad der Invalidität fair bewertet ist. 33% finden, dass sie zu niedrig bewertet sind. Lediglich 0,5% der Befragten finden, dass sie zu hoch bewertet wurden.

Die Personen welche angeben, dass ihr Invaliditätsgrad zu niedrig bewertet ist, wünschen sich durchschnittlich eine um 17% höhere Bewertung. Nur in einem Fall liegt der Unterschied zwischen der tatsächlichen und der gewünschten Invalidität bei mehr als 35%. In vier Fällen liegt der Unterschied zwischen 30% und 34%.

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4) Hausarzt, Facharzt, Sozialsprengel
Haus- und Fachärzte sind für Zivilinvaliden und Zivilversehrte wichtige Ansprechpartner in Bezug auf Visiten in der Praxis und in der Wohnung des Patienten, bei Verschreibungen von Medikamenten, Hilfsmitteln, Einweisungen zur stationären Behandlung, Ausstellungen vom Gesamtbild in Form eines Zeugnisses zur Anerkennung der Invalidität und anderen Leistungen. Der Sozialsprengel umfasst die Dienstbereiche der finanziellen Sozialhilfe, der Hauspflege, der sozialpädagogischen Grundbetreuung, Integration, Wohnen und den Bürgerservice.

Insgesamt sind die befragten Zivilinvaliden mehrheitlich mit ihrem Hausarzt zufrieden (76,3%), 10,1% sind nicht zufrieden. Betrachtet man die verschiedenen Altersklassen bis zu 30 Jahre, von 31 bis 50 Jahre und über 50 Jahre ergeben sich kaum Unterschiede in der Zufriedenheit mit dem Hausarzt.

Noch zufriedener sind die Umfrageteilnehmer mit ihrem jeweiligen Facharzt. Insgesamt geben 82,8% an, zufrieden zu sein. Nur 6,1% sind nicht zufrieden. Auch hier lässt sich kaum ein Unterschied in der Beurteilung zwischen den verschiedenen Alterskategorien feststellen.

Bei den Sozialsprengeln zeichnet sich ein etwas anderes Bild als bei den Haus- und Fachärzten. Hier ist die allgemeine Zufriedenheit etwas geringer und liegt bei 73,1% positiven Stimmen für Freundlichkeit und Verständnis bzw. bei 69,9% für Information und Beratung. Nicht zufrieden sind 7,2% (Freundlichkeit/Verständnis) bzw. 9,1% (Information/Beratung) aller Umfrageteilnehmer.

Des Weiteren kann beobachtet werden, dass ältere Personen mit dem Service der Sozialsprengel tendenziell zufriedener und jüngere Personen mit dem Service der Sozialsprengel weniger zufrieden sind.

 

5) ANMIC Südtirol
Wir, die ANMIC Südtirol, vertreten die Interessen der Zivilinvaliden und Versehrten in Südtirol gegenüber öffentlichen Körperschaften und Einrichtungen sowie in privaten Betrieben. Wir sind ständig darum bemüht, die bestehenden Rechte zu halten und kämpfen um neue Zugeständnisse für Zivilinvaliden und Zivilversehrte.

Unsere Mitglieder wissen vor allem die Qualität der Vereinszeitschrift „iB. incontrarsi-Begegnung“ und die Informationen über Gesetze zu schätzen. 89,6% bzw. 82,7% geben an zufrieden zu sein. Verbesserungspotential gibt es im Bereich der Beratung, wo lediglich 73,4% angeben zufrieden zu sein und 6,3% nicht zufrieden sind. Da wir als ANMIC Südtirol nur wenige Veranstaltungen organisieren, um unsere Ressourcen auf die wichtige Beratung und Information der geltenden Gesetze zu konzentrieren, bewerten uns hier viele Mitglieder verständlicherweise mit neutral.

Um unseren Service weiter zu verbessern und den Bedürfnissen unserer Mitglieder anzupassen, nehmen wir uns die Kritik und Hinweise unserer Mitglieder besonders zu Herzen. Dies gilt nicht nur für die Kommentare und Bewertungen im Rahmen dieser Umfrage, sondern auch für alle Punkte die in den vielen persönlichen Gesprächen thematisiert werden. Sollten Sie nicht die Möglichkeit gehabt haben, sich an der Zufriedenheitsumfrage zu beteiligen, freuen wir uns über Ihre Nachricht mittels Telefon, Fax oder E-Mail.

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6) Produkte und Dienstleistungen für Invaliden
Technische Produkte für Invaliden sind Hilfsmittel (z.B. Rollstühle, Betten, Gehhilfen), Prothesen (z.B. für Gliedmaßen, Hörprothesen) und Orthesen (z.B. Stützapparate, orthopädische Mieder, orthopädische Schuhe). Nicht technische Produkte für Invaliden sind Medikamente, Lebensmittel, homöopathische Mittel und Nahrungsergänzungsmittel (z.B. Vitamine). Dienstleistungen für Invaliden sind Begleitung, Hilfe im Haushalt, psychologische Beratung, Massagen, Physiotherapie.

Laut den Ergebnissen unserer Umfrage geben Invaliden durchschnittlich mehr als 25% ihres verfügbaren Einkommens für Produkte und Dienstleistungen aus, die sie nur auf Grund ihrer Invalidität benötigen. Erwartungsgemäß liegt dieser Anteil bei Invaliden mit einem Invaliditätsgrad von bis zu 73% deutlich niedriger (16% des Einkommens) als bei Invaliden mit einem Grad ab 74% (33% des Einkommens). Das bedeutet, dass Invaliden mit einer schweren Beeinträchtigung auch deutlich mehr Geld aufgrund ihrer Invalidität ausgeben müssen.

Die Suche nach geeigneten Produkten und Anbietern von Dienstleistungen für Invaliden gestaltet sich für viele Teilnehmer an der Umfrage schwierig oder zumindest nicht einfach. Vor allem die Suche nach Dienstleistern ist nur für 35,5% einfach, für 37,4% sogar schwierig. Etwa 10% der Befragten geben an, technische und nicht-technische Produkte für Invaliden im Internet einzukaufen. Hauptsächlich werden drei Gründe genannt, warum im Internet eingekauft wird: Weil die Produkte günstiger sind, weil sie nur im Internet gefunden werden oder aus Bequemlichkeit. Je jünger ein Invalide ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er oder sie im Internet einkauft. Außerdem kaufen Invaliden mit einem höheren Invaliditätsgrad häufiger im Internet ein, als Invaliden mit einem niedrigen Invaliditätsgrad. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass diese Personen häufig spezielle Produkte benötigen, die sonst nur schwer zu finden sind.

Für 77% der Umfrageteilnehmer ist es wichtig, dass der Anbieter von Dienstleistungen für Invaliden aus Südtirol kommt. Für 10,9% ist die Herkunft unwichtig und für 12,1% ist es weder wichtig noch unwichtig, woher der Dienstleister kommt. Es gibt keine auffälligen Unterschiede zwischen Frauen und Männern oder zwischen jüngeren und älteren Personen, das heißt, es ist für alle Gruppen genauso wichtig bzw. unwichtig. Die Tatsache, dass 77% sich z.B. eine Südtiroler Begleithilfe oder psychologische Beratung wünschen, hat damit zu tun, dass mehr Vertrauen zu Einheimischen besteht. Dies ist vor allem deshalb verständlich, weil es sich bei diesen Dienstleistungen um intime und sehr persönliche Bereiche handelt.

 

7) Unser Versprechen
Die Ergebnisse werden von uns an die zuständigen Stellen weitergeleitet und in persönlichen Gesprächen mit den verantwortlichen Stellen thematisiert. So soll die Qualität der Dienstleistungen, Beratungen und Behandlungen von Zivilinvaliden und Versehrten verbessert werden. Natürlich nehmen wir uns auch persönlich die uns betreffenden Verbesserungsvorschläge zu Herzen, um unsere Mitglieder in Zukunft noch zielgerichteter in rechtlichen, sozialen und persönlichen Fragen zu unterstützen.

Wir bedanken uns bei allen Umfrageteilnehmern und wissen die konstruktive Kritik, das Lob und alle anderen Hinweise sehr zu schätzen.

 

Bild: © ANMIC Südtirol
Grafiken: © ANMIC Südtirol

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